Die 2. große Kommunalreform 1971-1973
Dieser Beitrag wurde 2011 im Rahmen der Projektarbeiten zum 200-jährigen Stadtjubiläum von einem ehemaligen Schüler des Graf-Zeppelin-Gymnasiums in Friedrichshafen geschrieben.
Die Eingemeindungen von 1971 und 1972 und dessen Auswirkungen
34 Jahre nach der neuen Festlegung der Gemeindegrenzen, kam es zu weiteren Anschlüssen an die Stadt Friedrichshafen. Anfang Dezember 1971 wurden Ailingen und Raderach die beiden ersten neuen Stadtteile Friedrichshafens, weniger als ein halbes Jahr später folgte Kluftern und schließlich Ettenkirch Ende des Jahres 1972. Was Ailingen und Ettenkirch betraf, gab es zunächst das Vorhaben eines Zusammenschlusses der beiden Gemeinden mit Oberteuringen. Da dieser aber von beiden Seiten abgelehnt wurden, begannen die Verhandlungen über eine Eingliederung in die Stadt Friedrichshafen. Diese wurde auch von den Bürgern befürwortet, die sich bei den durchgeführten Bürgerentscheiden mit einer großen Mehrheit dafür aussprachen. Auch die Einwohner von Raderach und Kluftern entschieden sich für eine Eingemeindung nach Friedrichshafen, obwohl sie damit gleichzeitig auch einen Wechsel vom Badischen ins Schwäbische bewirkten. Raderach – der kleinste Ortsteil Friedrichshafen – , sowie Kluftern entschieden sich gegen die Option, sich der Stadt Markdorf anzuschließen und gaben ihre Selbständigkeit freiwillig auf. Um ihnen aber einen Teil der Eigenständigkeit zu gewährleisten, wurden Eingliederungsverträge geschlossen.
Dabei heißt es in der Präambel wie folgt:<ref> Eingliederungsvereinbarung, http://www.friedrichshafen.de</ref>
„Die ständig anhaltende Entwicklung innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsraumes macht es unter Berücksichtigung der menschlichen, wirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen Verflechtungen not-wendig, Verwaltungseinheiten zu bilden, die in der Lage sind, die zunehmenden Aufgaben sinnvoll zu übernehmen und die Entwicklungschancen zum Wohle der Bürger zu erhalten und zu verbessern. Mit dem Ziel, die gemeinschaftlichen Verpflichtungen im Rahmen einer Verwaltungseinheit zu erfüllen, schließen sich die Gemeinde […] und die Stadt Friedrichshafen zusammen.“
Der größte Vorteil der Eingliederungen war, dass man nun über ein größeres Gebiet sinnvoller planen konnte. „Reformen wie diese, die aus mehreren Teilgebieten eine Einheit machen sorgen dafür, dass man die Verteilung von beispielsweise Wohn- und Gewerbegebieten sinnvoller regeln kann. So lässt sich ökologische und nachhaltige Politik betreiben“, so Herr Heinz Tautkus, Ortschaftsrat in Ailingen, vor 1973 auch Gemeinderat der selbständigen Gemeinde Ailingen. Außerdem standen nun auch mehr Gewerbeflächen zur Verfügung. Die Auswirkungen dessen lassen sich an einem Beispiel verdeutlichen: Die Firma Tognum benötigte für die Erbauung eines Materialwirt-schaftszentrum eine Fläche von 20 Hektar. Dank der eingegliederten Ortschaft Kluftern war die Stadt Friedrichshafen in der Lage der Firma im Jahr 2008 eine passende Fläche in dieser Ortschaft anzubieten. Das Materialwirtschaftszentrum wird nun also voraussichtlich bis 2012 gebaut werden und so für die Sicherung vieler Arbeitsplätze sorgen, da es Tognum weiter an Friedrichshafen bindet und verhindert, dass die Firma Arbeitsplätze verlagert.
Ein wichtiger Grund, der zu der Reform veranlasste, war vor allem die bereits vorher hergestellte Bindung der Gemeinden an Friedrichshafen. Viele Menschen waren bereits in der Industriestadt tätig und es erschien sinnvoll der selben politischen Gemeinde anzugehören, in der man auch arbeitete. Bis 1973 flossen alle Steuern und Abgaben in die einzelnen Gemeinden und nicht in die Stadt, in der man arbeitete und dessen Einrichtungen man sich bediente. Zudem konnte Friedrichshafen höhere Gegenleistungen anbieten, als beispielweise die Stadt Markdorf, und für Verbesserungen innerhalb der neuen Stadtteile sorgen. Ailingen bekam zum Beispiel die Rotachhalle und das Wellenbad, wovon natürlich auch die einzelnen Bürger profitieren konnten.
In den Eingliederungsverträgen wurden die Bürger der Gemeinden zu Bürgern der „Stadt Friedrichshafen“ erklärt. Des Weiteren wurden die Rechte und Pflichten des Ortschaftsrates, sowie die Änderungen der Ortschaftsverfassungen festgelegt. Dies stellt einen Gegensatz zu den bereits früher eingegliederten Gemeinden, wie zum Beispiel Fischbach oder Schnetzenhausen dar. Diese haben weder eine eigene Ortsverwaltung, noch einen Ortschaftsrat und somit kaum Möglichkeiten zur Selbstbestimmung.
Zudem garantierte die Stadt ihren Beitrag an der Weiterentwicklung der Gemeinden und deren Vertretung im Gemeinderat, um ihnen eine gewisses Maß an Mitbestimmung und Autonomie zu gewährleisten. Es wurde abgegrenzt, welche Bereiche Sache der Stadtteile bleiben sollten und über welche die Stadt Friedrichshafen von nun an verfügen sollte. Außerdem veränderte sich das Ortsrecht. Die Satzungen über die öffentliche Entwässerung und die Polizeiverordnung über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege mussten beispielsweise an die Rechtsgrundlage der Stadt Friedrichshafen angepasst werden.
Desweiteren wurde auch das Prinzip der „unechten Teilortswahl“ in den Eingliederungsverträgen festgelegt. Es sollte eine Vertretung der Gemeinden im Gemeinderat Friedrichshafen festgelegt werden, indem von den 40 Abgeordneten beispielsweise genau 4 aus dem Ailinger Ortschaftsrat stammen mussten. Ähnliches wurde auch für Kluftern, Ettenkirch und Raderach festgelegt. Dieses Prinzip wurde jedoch 2007 abgeschafft, was aber keineswegs den Einfluss der Ortschaften im Gemeinderat minderte. Zum Beispiel sitzen nun 6 „Ailinger“ im Gemeinderat, was früher nicht möglich gewesen wäre. „Wie gut die Ortschaften im Verbund mit Friedrichshafen repräsentiert werden, hängt von der Kompetenz der Vertreter im Gemeinderat ab“ äußert sich Tautkus. Der Wille der einzelnen Orte kann also mitunter großen Einfluss auf die Friedrichshafener Politik haben.
Die Kreisreform von 1973
Der Beginn der Kreisreform
Die 2. Große Kreisreform, die Friedrichshafen betraf wurde von der Landesregierung initiiert und wirkte sich auf zahlreiche Landkreise des Landes Baden-Württembergs aus. Bereits 3 Jahre nach dem Zusammenschluss von Baden und Württemberg wurde es für Vertreter aller Parteien offensichtlich, dass eine Verwaltungsreform des Landes notwendig war. Allerdings betrachtete man den Zeitpunkt so kurz nach dem Zusammenschluss als zu früh und auch über den Umfang war man sich sehr uneinig.
Man entsandte die so genannte „Walzkommission“, die sich mit der Prüfung der Leistungsfähigkeit der Landkreise und mit der Herausarbeitung von Vorschlägen zu einer Kreisreform beschäftigen sollte. Diese Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Landkreise durchaus in der Lage waren ihre Aufgaben zu bewältigen. Folglich verzichtete die Landesregierung darauf, in ihrer Legislaturpe-riode eine Veränderung der Kreisgrenzen anzustoßen.
Mit der Wahl des CDU-Politikers Dr. Hans Filbinger als neuer Ministerpräsident im Dezember 1966 veränderte sich die Situation. Mit ihm kam die Große Koalition in Baden-Württemberg an die Regierung und damit die Möglichkeit bisher aufgeschobene, schwierige Aufgaben zu verwirklichen. Bereits in seiner Regierungserklärung am 19. Januar 1967 beschrieb Filbinger die Verwaltungsreform „als eine wichtige Aufgabe, an der beharrlich gearbeitet werden muss.“ Es wurden zwei Kommissionen eingesetzt, die einen gemeinsamen Ausschuss bildeten, welcher zum „Denkmodell der Landesregierung zur Kreisreform“ Stellung nehmen sollte.
Dieses Denkmodell erschien im Dezember 1969 und wurde vom Ministerrat unter anderem mit folgenden Worten deklariert:<ref>Erklärung des Ministerrats zum Denkmodell der Landesregierung zur Kreisreform, Stuttgart, Dezember 1969.</ref>:
"[…] Die Landesregierung sieht das Denkmodell zur Kreisreform vor allem unter zwei Aspekten: Der Stärkung der Selbstverwaltung und der Verwirklichung des Landesentwicklungsplans. […] Die Re-form soll eine neue Verwaltung aufbauen, die nicht nur den Erfordernissen und Aufgaben der Gegenwart besser entspricht, sondern auch denen der voraussehbaren Zukunft. […] Die Vorschläge greifen in vertraute Strukturen ein und berühren zahlreiche Interessen. Die Regierung hat deshalb Verständnis dafür, wenn die Vorschläge bei einzelnen Betroffenen zunächst auf Vorbehalte stoßen. Dennoch sollte die Diskussion rational, ohne Emotionen und im Blick aufs Ganze geführt werden; denn das dient der Sache am besten."
Dabei wurde das Ziel der Reform sehr deutlich: mehr Möglichkeiten zur Entwicklung des Landes durch eine Verbesserung der Verwaltung und damit einer sinnvolleren Planung zur Nutzung des Landes. Außerdem zeigte diese Stellungnahme bereits die Furcht der Regierung vor Widerständen derjenigen, die an alten, traditionellen Strukturen hingen und für die eine Kreisreform einen gewaltsamen Eingriff in diese Strukturen bedeutete.
Für die Regierung aber war klar, dass nur durch die Reduzierung der Landkreise vorhandene und künftige Aufgaben bewältigt werden könnten und eine maximale Leistungskraft erreicht werden könnte. Aus den bestehenden 65 Land- und 9 Stadtkreisen wollte man 25 Land- und 5 Stadtkreise bilden. Dabei sollte die Verflechtung „sozio-ökonomisch“ erfolgen, das heißt es sollten geschichtliche und landsmannschaftliche Zusammenhänge berücksichtigt werden, da diese für die Bürger Anlass zum Konflikt sein könnten.
Die Reaktionen auf das Denkmodell waren vielfältig. Im Landtag wurden mehrere Gutachten erstellt, von denen zwei die Reform komplett in Frage stellten, andere hingegen verschiedene Möglichkeiten zur Einteilung des Landes in Kreise vorschlugen. Schließlich kam man aber zu dem Ergebnis, dass Landkreise mit weniger als 120 000 Einwohnern nicht als überlebensfähig angesehen werden konnten und sich somit mit anderen zusammenschließen mussten.
Das Denkmodell am Bodensee
Von einem „Bodenseekreis“ war im Denkmodell zunächst überhaupt nicht die Rede. Der Altkreis Tettnang galt mit 96 160 Einwohnern und 8 Gemeinden jedoch laut oben aufgeführter Bestimmung als nicht überlebensfähig. Geschichtlich und verwaltungsmäßig war Tettnang mit Oberschwaben und Ravensburg verbunden und da das Wirtschaftszentrum des Kreises die Stadt Friedrichshafen war, deren Einfluss sich nicht nur auf den Landkreis Tettnang sondern auch noch auf Markdorf, einen Bereich des Landkreis Überlingens erstreckte, wurde sowohl der Landkreis Tettnang als auch Markdorf mit einigen umliegenden Gemeinden, zunächst dem Landkreis Ravensburg zugeschrieben.
Das Kerngebiet des mit 64 352 Einwohnern auch nicht haltbaren Landkreis Überlingen, also Überlingen, Pfullendorf und das Salemer Tal, wurden aufgrund geschichtlicher Verbundenheit mit dem westlichen Bodenseegebiet, dem Landkreis Konstanz zugeordnet. Bei diesen Zuordnungen zeigte sich also deutlich die Idee der Landesregierung der „sozio-ökonomischen Verflechtungen“. Allerdings fanden diese in beiden Landkreisen keine Zustimmung. Tatsächlich war es vor allem der gewaltige Einfluss der Stadt Friedrichshafens infolge ihrer starken wirtschaftlichen Situation, sowohl auf den Landkreis Tettnang, als auch auf Teile des Landkreis Überlingens, der zu der Idee eines Zusammenschluss der beiden Landkreise führte. Wichtige Aktionäre hierbei waren Friedrichshafens Oberbürgermeister Dr. Grünbeck, sowie die Landräte Schiess (Überlingen) und Dr. Diez (Tettnang).
Am 12. März 1970 kam es zum Dialog in Überlingen. Dem Landkreis Überlingen lag bereits der Vorschlag eines Zusammenschlusses mit dem Landkreis Stockach vor, da dieser aber allein auch nicht ausreichend gewesen wäre, schlug man vor Stockach auch noch in den Seekreis einzuschließen, was zumindest geographisch die Chancen des Erhalt des Kreissitz für die Stadt Überlingen erhöht hätte. Die Tettnanger Vertreter lehnten diesen Vorschlag jedoch ab. Vor allem der Landrat Schiess setzte sich für die Bildung des Seekreises ein. Ihm sagte man nach, dass er Absprachen mit Dr. Grünbeck traf und schon im Hinblick auf die Landratswahl agierte. Die Überlinger Bürger waren von dem Vorschlag nicht begeistert, da er zugleich eine Zersplitterung ihres Landkreises bedeutete: Einige Gemeinden wurden nämlich dem Landkreis Sigmaringen zugeführt.
Das Innenministerium Baden-Württembergs forderte im Oktober 1970 Stellungnahmen von den Gemeinden zur Kreisreform. Im Altkreis Tettnang sprachen sich 10 von 13 Gemeinden für die Bildung eines Kreises aus den Altkreisen Tettnang und Überlingen aus.
Der Kreistag Überlingen stimmte dieser Verflechtung im Dezember 1970 mehrheitlich zu und auch im Kreistag Tettnang wurde der Vorschlag mit einer großen Mehrheit von 26 zu 3 Stimmen (1 Enthaltung) angenommen.
Am 23. Juli wurde dann „Das erste Gesetz zur Verwaltungsreform“ vom Landtag mehrheitlich beschlossen. In Kraft trat es am 1. Januar 1973. Entgegen dem Denkmodell von 1969 entstanden 35 Land- und 9 Stadtkreise. Der aus den Altkreisen Tettnang und Überlingen gebildete Landkreis erhielt den Namen „Bodenseekreis“. Friedrichshafen wurde wieder Kreisstadt, was zum einen durch die geographische Lage im Zentrum des Kreises, als auch durch die wirtschaftliche Vormachtstellung der Stadt begründet werden konnte. Friedrichshafen stellte die meisten Einwohner, was durch die Eingemeindungen 1971 und 1972 noch verstärkt wurde und hatte damit auch die höchste Steuerkraft.
Widerstände sowie Vor- und Nachteile der Reform
Die Vorteile des Zusammenschluss der beiden Altkreise waren offensichtlich: Nun konnte über ein größeres Gebiet sinnvoller geplant werden. Der neue Bodenseekreis hatte auch – vor allem durch seine zentrale Kreisstadt Friedrichshafen – eine große wirtschaftliche Kraft, die keinem der beiden Altkreise in dieser Form gegeben war. Verschiedene bisher dezentral geregelte Organisationen wie z.B. das Rote Kreuz konnten sinnvoll zusammen gelegt werden, wodurch sich ihre Leistungsfähigkeit stark verbesserte. Die größere Ausgewogenheit der Landkreise nach der Kreisreform wurde bereits vor deren Inkrafttreten statistisch belegt und auch von Friedrichshafens damaligem Oberbürgermeister Dr. Max Grünbeck bestätigt. Natürlich stellten er und die Stadt Friedrichshafen die klaren Gewinner der Reform dar. Die Kreisstadtfunktion lieferte der Stadt nicht nur Renommee und Macht, sondern auch neue Arbeitsplätze durch die Einrichtung des Landratsamtes.
Man kann dem Bodenseekreis vorwerfen, dass er aufgrund seiner schlauchförmigen Form geopolitisch ungünstig ist. Im Gegensatz zum Landkreis Ravensburg ist er stark in die Länge gezogen, was die Verwaltung erschwert. Im Großen und Ganzen überwogen allerdings, rational gesehen, die Vorteile der Kreisreform. Dennoch gab es zahlreiche Widerstände, die sich zunächst auf Diskussionen in Wirtshäusern beschränkten, schließlich aber bis zu Schlägereien ausarteten und auch Demonstrationen in Stuttgart mit sich brachten. Diese Widerstände lagen vor allem im Regionalbewusstsein der Menschen begründet. In einer Veröffentlichung der Uni Bochum wird der Begriff „Regionalbewusstsein“ als „die Wahrnehmung eines Raumes als zusammengehörige Region, die emotionale Bindung an diese Region und die Identifikation der in ihr lebenden Bevölkerung mit der Region“ beschrieben. Es ist bei nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt, tritt aber besonders dann verstärkt auf, wenn es in der Region, mit der man sich identifiziert – hier die beiden Altkreise – zu Veränderungen kommt.
Die Vereinigung der beiden Altkreise Tettnang und Überlingen hatte aber diesbezüglich auch das Potential für sehr viele Konflikte. Zunächst einmal war da die Vereinigung eines badischen und eines württembergischen Landkreises. Dieses Problem zeigte sich bereits in der Vergangenheit sowohl bei den Eingemeindungen von Kluftern und Raderach in die Stadt Friedrichshafen, als auch schon in den fünfziger Jahren, als es zur Gründung Baden-Württembergs kam. Natürlich lässt sich kein offensichtlicher Unterschied zwischen Badenern und Württembergern feststellen, aber es bleiben eben unterschiedliche geschichtliche Hintergründe, ein anderer Dialekt und andere Verwurzelungen, die dafür sorgen, dass man sich mit dem einen oder dem anderen Landesteil identifiziert. In den 70er Jahren wurden Baden und Württemberg zudem noch durch einige Institutionen, wie zum Beispiel den Winzerverbund getrennt.
Eine Studie aus dem Jahr 1990 stellte fest, dass 22% der Überlinger „Südbaden“ als ihre heimatliche Gegend bezeichneten, aber nur 7 % den „Bodenseekreis“ nennen. Besonders dort lebt die alte Grenze weiter. In Tettnang hingegen ist die Identifikation mit dem „Bodenseekreis“ mit der von „Oberschwaben“ mit je 23% gleich auf. Die starke Identifikation der Badener mit ihrem Landesteil zeigte sich auch schon bei der Gründung Baden-Württembergs und durch das vermehrte Auftreten badischer Symbole Anfang der 70er Jahre, wie beispielsweise Autoaufkleber und das “Lied der Badener“.
Einen noch größeren Anlass zum Konflikt bereitete aber die Ausradierung zweier Landkreise und die Verbindung zu einem einzigen. Dies betraf zunächst einmal diejenigen, die in den Altkreisen politisch oder verwaltend aktiv waren: Der ehemalige Kreisrat des Landkreises Tettnangs Heinz Tautkus erinnert sich: „Ein Landrat versuchte damals den Kreistag gegen die Reform aufzuhetzen. Er sah seine Stellung gefährdet, da durch die Reduzierung der Anzahl der Landkreise natürlich auch die Anzahl der Landräte abnahm.“ Dieser Tettnanger Landrat Dr. Diez war von Anfang an ein deutlicher Gegner der Kreisreform und sprach sich ganz klar für die Erhaltung des Landkreises Tettnang aus. In einer Sonderausgabe der Schwäbischen Zeitung am 20. Dezember 1972 tat er in dem Artikel „Volkswille wurde ignoriert – Kein Verlangen nach Reform“ seine Meinung deutlich kund. Tatsächlich ist es aber so, dass bei Auflösungen von Landkreisen die Meinung der Bevölkerung nicht angehört werden muss.<ref>Landesverfassung Baden-Württemberg, Artikel 74.</ref> Dr. Diez erklärte die Verbindung der Altkreise in seinem Artikel als Zwangsehe:
„[…] Das Heiratsgut samt Lasten, das beide Partner in die Ehe des Bodenseekreises einbringen, gestattet es, die vom Gesetzgeber auferlegte Ehe mit Vernunft ganz ordentlich zu führen […]“
Damit gab er zwar zu, dass der Bodenseekreis durchaus sinnvoll und zukunftsbereit war, wies aber auch darauf hin, dass seine Entstehung nicht der Wunsch der Bevölkerung, sondern der der Landesregierung war. Der Überlinger Bürgermeister Reinhard Ebersbach äußerte in dieser Sonderausgabe ebenfalls seine Ansichten. In seinem Artikel wurde seine Enttäuschung darüber, dass Überlingen die Kreisstadtfunktion verlor deutlich, allerdings räumte er auch ein, dass der Bodenseekreis „dessen Zustandekommen auch die Stadt Überlingen gewünscht hat“ ein großes Potential besaß. Zudem stellte er die Entschlossenheit der Stadt dar, ein „bedeutender Schwerpunkt im Westen“. Tatsächlich konnte sich Überlingen im Jahr 1993 den Titel „Große Kreisstadt“ sichern. Dies ist aber nicht mit einer Kreisstadt gleichzusetzen, wie es Friedrichshafen ist. Der Sitz des Landratsamts blieb weiterhin in Friedrichshafen.
Im Oktober 1970 wurde eine erste, zuverlässige Untersuchung über die Meinung der Bevölkerung zur Kreisreform veröffentlich. Man nahm die Gemeinde Kressbronn aufgrund ihrer Wahlergebnisse als Aushängeschild des gesamten Landkreises Tettnang. Danach sprachen sich 54 % der Befragten gegen die Reform aus, 26 % dafür und 19 % zeigten sich uninteressiert. Die Meinungen hingen vor allem vom lokalem Bezug, der sozialen Schicht, dem Alter der Befragten und damit also vor allem von dem bereits angesprochenen Regionalbewusstsein der Menschen ab. Auch heute wünschen sich viele Tettnanger die Kreisstadtfunktion zurück. „Der Verlust der Kreisstadtfunktion wurde von vielen Tettnangern als schmerzlich empfunden. Die Positionierung der Stadt Tettnang zwischen Ravensburg, Friedrichshafen und Lindau wäre als Kreisstadt wesentlich einfacher. Tettnang als Kreisstadt würde ein Markenzeichen darstellen und uns zukünftig sicher einen nicht bezifferbaren Marketingvorteil bringen.“ So äußert sich Susanne Klein, eine Tettnangerin, die sich sehr stark mit ihrem Wohnort identifiziert. Auf der anderen Seite befürwortet sie aber auch den Bodenseekreis und gibt an, ein hohes Regionalbewusstsein zu haben.
Die Auswirkungen dieses Regionalbewusstseins und die Wunden, die die Reform hinterlassen hat zeigen sich auch heute noch. Sowohl Tettnang, als auch Überlingen verloren aufgrund der Kreisreform ihre Autokennzeichen. Die „Heilbronner Initiative“, ein Projekt der Hochschule Heilbronn setzt sich für die Rückkehr zu früheren Nummernschildern ein und wird von 73% der befragten Bundesbürger unterstützt. Auch in Tettnang und Überlingen fand diese Idee großen Anklang. Der Wunsch seine Zugehörigkeit zu der Heimatstadt zu demonstrieren, zeigt sich auch an den zahlreichen Kennzeichen, die zum Beispiel mit FN beginnen, dann aber TT folgen lassen.
Quellen und Verweise
<references />
Projektarbeiten des GZG zum 200-jährigen Stadtjubiläum: Kreis- und Gemeindereformen: Friedrichshafen und der Bodenseekreis