Fünf Zeitzonen am Bodensee

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Heutige Schifffahrtsrouten auf dem Bodensee


Bis Ende des 19. Jahrhunderts galten in den Anrainerstaaten des Bodensees fünf Zeitzonen. So durchfuhr ein Dampfschiff auf dem Kurs von Bregenz nach Konstanz vier Zeitzonen in knapp vier Stunden. Der gesamte Zeitunterschied betrug 24 Minuten.

Die Situation am Bodensee

Die alte Konstanzer Hafenuhr stammt aus dem Jahr 1906, als es am Bodensee keine verschiedenen Zeitzonen mehr gab.

Die besondere Situation am Bodensee – fünf Zeitzonen mit eigenen gesetzlichen Zeiten (Zonenzeit) bei nur 46 km Luftlinie und 0°34’ geographischer Längendifferenz<ref>Die Angaben beschränken sich auf den Obersee, weil der größte Seeteil allein schon alle fünf Zeitzonen umfasst.</ref> – ergab sich im 19. Jahrhundert aus den fünf Anrainerstaaten mit jeweils eigenen Zeitzonen. Im Königreich Preußen galt von Aachen im Westen bis Königsberg im Osten, also über eine Distanz von mehr als 1100 km, einheitlich die „Berliner Zeit“. Dagegen war am badischen Bodenseeufer die „Karlsruher Zeit“ maßgebend, am württembergischen die „Stuttgarter Zeit“, am bayerischen die „Münchener Zeit“, am österreichischen die „Prager Zeit“ und am schweizerischen Ufer die „Berner Zeit“. Entsprechend enthielten die Eisenbahn- und Schiffsfahrpläne Hinweise auf die Zeitunterschiede. Die Vielfalt hatte verschiedene Folgen: Die Verwaltungen der Ländereisenbahnen, denen auch die jeweiligen Schifffahrtsbetriebe unterstanden, mussten die Anschlussmöglichkeiten der Schiffe und Bahnen gewährleisten, wofür der Verband der „Vereinigten Dampfschiffahrts-Verwaltungen“ gegründet wurde. Die Hafenuhren zeigten gleichzeitig verschiedene Zeiten an; die in Romanshorn hatte deshalb drei Zifferblätter. Die Kapitäne kündigten zur Sicherheit die Abfahrt jeweils eine Viertelstunde vorher durch einen Kanonenschuss und dem Läuten der Schiffsglocke an.<ref>Rolf Lehnhardt: Dampfer-Nostalgie in Konstanz. In: Südkurier vom 15. Juni 1974. Bericht über die Ausstellung im Bodensee-Naturmuseum 150 Jahre Dampfschiffahrt auf dem Bodensee.</ref> Außerdem mussten sie alle paar Kilometer<ref>Genauer: Zwischen Bregenz und Lindau, Wasserburg und Kressbronn und zwischen Friedrichshafen und Immenstaad.</ref> die Borduhr ihrer Schiffe verstellen. Und die Fahrgäste mussten die verschiedenen Uhrzeiten bei ihrer Terminplanung berücksichtigen.

Angenommen, ein Fahrgast bestieg in Bregenz das Schiff nach Konstanz, um dort mit der Droschke ins benachbarte Kreuzlingen zu fahren, so ergaben sich über fünf Zeitzonen die in der Tabelle angegebenen Zeiten, wobei die Landestellen der kleineren Orte nicht angeführt sind.

Ankunft Abfahrt Zeitunterschied
Hafen Land Zonenzeit Ortszeit Prager Zeit Ortszeit Prager Zeit Minuten kumuliert
Bregenz Österreich Prager Zeit 09:40 09:40
Lindau Bayern Münchner Zeit 09:54 10:05 10:04 10:15 - 11 - 11
Fr'hafen Württemberg Stuttgarter Zeit 11:19 11:40 11:29 11:50 - 10 - 21
Konstanz Baden Karlsruher Zeit 13:06 13:30 (13:10) (13:34) - 3 - 24
Kreuzlingen Schweiz Berner Zeit (13:16) (13:44) - 4 - 28

Die Fahrt von Bregenz nach Konstanz<ref>61 km Kursstrecke mit zehn Stationen und vier Zeitzonen.</ref> dauerte ohne Berücksichtigung der Zeitverschiebung drei Stunden und fünfzig Minuten, mit deren Berücksichtigung drei Stunden und 26 Minuten, also 24 Minuten weniger.<ref> Das Schiff erreichte die Karlsruher Zeitzone aber bereits vor Immenstaad, Ankunft 12:20 Uhr Prager Zeit bzw. 11:56 Uhr Karlsruher Zeit.</ref> Mit dem Besuch von Kreuzlingen wurde auch die fünfte Zeitzone mit einbezogen, wodurch die maximale Zeitverschiebung von 28 Minuten erreicht wurde. Bei der Rückfahrt hob sich dieser „Zeitgewinn“ wieder auf.

Die Mitteleuropäische Zeit als Lösung

1890 einigten sich die im Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen organisierten Staatsbahnen auf die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) als gemeinsame Betriebszeit. Ab dem 1. April 1892 wurde die MEZ für die deutschen Bodenseeanrainer Großherzogtum Baden, Königreich Bayern und Königreich Württemberg als allgemeine Zeit im Alltag verbindlich. Bereits 1891 wurde die MEZ im österreichischen Eisenbahn- und Telegraphendienst eingeführt. In der Schweiz erließ der (kantonale) Berner Regierungsrat eine Weisung, nach der die Mitteleuropäische Zeit ab dem 1. Juni 1894 für das bürgerliche und amtliche Leben eingeführt werden sollte. Dabei sollten sämtliche öffentliche Uhren (Kirchenuhren und andere) um 30 Minuten vorgerückt werden. Diese Berner Regelung wurde auch von den anderen Schweizer Kantonen übernommen. Da aber zu diesem Zeitpunkt der Schweizer Bodensee-Schiffsfahrplan bereits gültig war, mussten die Schweizer Fahrgäste bis zum nächsten Fahrplanwechsel diese 30 Minuten von der neuen Zeit wieder abziehen. Ab 1895 gab es am Bodensee nur noch eine Zonenzeit, die MEZ.<ref>Die MEZ entspricht Prager Zeit +2 Minuten, Münchner Zeit +13 Minuten, Stuttgarter Zeit +23 Minuten, Karlsruher Zeit +26 Minuten, Berner Zeit +30 Minuten.</ref>

Siehe auch

Literatur

  • Dietmar Bönke: Schaufelrad und Flügelrad. Die Geschichte der Eisenbahn auf dem Bodensee. GeraMond Verlag, München 2013, ISBN 978-3-86245-714-4. S. 154 f.
  • Bundesbahndirektion Karlsruhe – Amt Bodensee – Schiffsbetriebe Konstanz (Herausgeber): 150 Jahre Schiffahrt auf dem Bodensee und Rhein 1824–1974, Konstanz o. J.
  • Friedrich Pernwerth von Bärnstein: Die Dampfschiffahrt auf dem Bodensee und ihre geschichtliche Entwicklung im Zusammenwirken mit den Eisenbahnen während ihrer zweiten Hauptperiode (1847–1900). Deichert, Leipzig 1906 (Digitalisat)

Einzelnachweise und Anmerkungen

<references />