Zugunglück

Aus Buergerwiki Bodensee
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Zugunglück von Kluftern 1939

(Dieser Beitrag basiert auf <ref>100 Jahre Eisenbahn und Gasthof am Bahnhof in Kluftern, Bernd Caesar, Klufterner Hefte Nr.4, Arbeitskreis Heimatgeschichte Kluftern e.V., 2001</ref>)

Der 22. Dezember 1939 <ref>sic, vgl. Schatten der Eisenbahngeschichte, Band 1, Seite 286 ff, Hans Joachim Rit zau, Verlag Zeit und Eisenbahn </ref> war ein schwarzer Tag für die Eisenbahn in Deutschland. In Genthin bei Magdeburg ereignete sich das bis dahin schwerste Eisenbahnunglück und in Kluftern gab es am selben Tag mit 106 Toten ebenfalls einen folgenschweren Zusammenstoß von zwei Zügen, vergleichbar mit dem ICE-Unglück von Eschede 1998, dem schwersten Eisenbahnunglück der Nachkriegsgeschichte.

Der Ablauf des Geschehens in Kluftern liest sich nach den Gerichtsprotokollen so : In Markdorf und Kluftern haben jeweils die Assistenten der Bahnhofvorsteher Dienst. In beiden Bahnhöfen ist auf den Merktafeln zusätzlich zum fahrplanmäßigen Güterzug aus Richtung Radolfzell ein Sonderzug aus Oberstdorf eingetragen. Der Sonderzug ist mit ca. 700 Rückkehrern aus Weil am Rhein und Umgebung besetzt, die zu Kriegsbeginn aus Furcht vor französischen Angriffen evakuiert worden waren. Festgelegt ist die Begegnung der beiden Züge auf der eingleisigen Strecke im Bahnhof Markdorf mit seinem Ausweichgleis. Festgelegt ist nach den Regeln der Eisenbahn ebenfalls, dass ein Zug erst die Signalfreigabe zur Durchfahrt erhalten darf, wenn er dem nächsten Bahnhof angeboten wurde und dieser das Angebot angenommen hat.


Rekonstruierter zeitlicher Ablauf:

Geschehen am Bahnhof Markdorf (Ma)
Position des Güterzugs von Radolfzell
Position des Sonderzugs Oberstdorf / Allgäu
Geschehen am Bahnhof Kluftern
22.06 Uhr: Der Güterzug wird Ma angeboten
Position Grasbeuren
Position Eriskirch

22.07 Uhr: Der Markdorfer Assistent hat den Sonderzug vergessen und stellt das Einfahrt- und Vorsignal auf Frei, gibt Anweisung an den Wärter in Stellwerk 2 das Ausfahrtsignal auf Frei zu stellen; Ma bietet Kluftern den Zug aber nicht an



22.08 Uhr: Wärter tätigt Signal und radelt zur Bahnschranke
Position Mimmen-hausen




Position FN-Windhag
22.12 Uhr: Sonderzug wird Kluftern angeboten und nimmt ihn an; Kluftern stellt Signale auf Frei

Position kurz hinter Bermatingen
Position Manzell
22.14 Uhr: Kluftern versucht Ma verspätet den Zug anzubieten; in Ma geht keiner ans Telefon
22.15 Uhr: Läutewerk ertönt, Assistent erinnert sich an Sonderzug;
Ma ruft Kluftern per Telefon, besetzt !!

Position halbe Strecke Bermatingen / Ma
Position Fischbach
22.15 Uhr: Kluftern betätigt Läutewerk nach Ma; Kluftern ruft Ma per Telefon, besetzt !!
22.16 Uhr Assistent versucht mit Leuchtstab den Güterzug zu warnen; Leuchtstab ist nicht am Platz



22.17 Uhr Güterzug passiert Ma; Assistent kann nur hinterher winken
Position Markdorf
Position Kluftern
22.17 Uhr: Sonderzug passiert Bahnhof Kluftern
22.17 Uhr und wenige Sekunden: Markdorfer Assistent ist wieder zurück am Telefon, Kluftern meldet sich. Zu spät


22.17 Uhr und wenige Sekunden: Assistent von Ma meldet Kluftern die Durchfahrt des Güterzugs, Kluftern meldet die des Sonderzugs. Zu spät
22.19 Uhr
Ein explosionsartiger Knall beim Zusammenstoß der Züge durchdringt die neblige Dezembernacht bis nach Markdorf und weiter

Position km 43,190
Ca 400 m hinter der Eisenbahn-brücke in Lipbach

Position km 43,190
Ca 400 m hinter der Eisenbahn-brücke in Lipbach

22.19 Uhr
Ein explosionsartiger Knall beim Zusammenstoß durchdringt die neblige Dezembernacht bis nach Kluftern und weiter

D UnglückZugZeller3-red.JPG











Beide Diensthabenden waren in der SA. Der Markdorfer soll laut Gerichtsakten seinen Dienst zugunsten der SA-Tätigkeit vernachlässigt haben. Der Klufterner Beamte wiederum war rangniedriger bei der SA und befürchtete Nachteile, falls er seinen Markdorfer Vorgesetzten durch Anhalten eines Zuges in Misskredit brächte.

Zur Trauerfeier in Markdorf waren unter anderem Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner, der stellvertretende Gauleiter Röhn, aus dem Kreisgebiet Reichshauptamtsleiter Oexle, Landrat Dr. Maier und Markdorfs Bürgermeister Grießhaber erschienen. Auf dem Marktplatz waren die Toten des Unfalls aufgebahrt, die Fahnen des Großdeutschen Reiches auf Halbmast, aus Pylonen lodernde Flammen zum Himmel steigend, die Hitler-Jugend als Ehrenwache, Aufstellung von Gliederungen der Partei (NSDAP), starke Vertretungen der Wehrmacht und dahinter Tausende schwarz gekleidete Volksgenossen.<ref>Bodensee-Rundschau, Mittwoch, 27.12.1939</ref>„Dann machte sich der Gauleiter zum Dolmetsch des aufrichtigen Mitgefühls und der Verbundenheit, die das ganze Volk mit den Toten und den Hinterbliebenen erfüllt. Wir Deutsche, so führte er aus, stehen dem Opfer anders gegenüber als die übrige Welt, denn das Ringen um unseres Volkes Zukunft und Lebensrecht ist ein steter Opfergang, wir nehmen alle zu bringenden Opfer gemeinsam auf uns, wie immer sie unser Volk treffen mögen. Wie niemand bei uns umsonst lebt, so kann auch niemand umsonst sterben. Leben und Sterben vollzieht sich bei uns im Dienst der Gemeinschaft und so glauben auch wir beim Tode der unschuldigen Menschen, dass ihr Sterben ein Ausschnitt aus dem Lebenskampf unseres Volkes um seine Zukunft ist. Wir müssen die gebrachten Opfer durch unseren Einsatz leichter und erträglicher gestalten. Sie müssen gesehen werden vom Kampf aus, den wir um unser Dasein als Volk führen und dürfen niemals Verzagtheit auslösen. ... Über allem muss immer unser Volk stehen." <ref>Bodensee-Rundschau, Mittwoch, 27.12.1939</ref>

G 41n Vom Kirchturm.JPG

Gerichtsurteile

Der Fahrdienstleiter Huber, der zur Unglückszeit in Kluftern Dienst hatte, wurde zu 12 Monaten Gefängnis, der Markdorfer Kollege als Hauptschuldiger zu 3 Jahren verurteilt. Urteile, die in dieser Zeit für andere Vergehen verhängt wurden, waren meist wesentlich härter. Ein Bahnschutzmann, der sich im Dienst zwei Pakete aneignete, die ihm Soldaten zur Weiterleitung anvertraut hatten, wurde wegen Vergehens gegen die Volksschädlingsverordnung zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Deutscher (Jude), der sich in Gesprächen als deutscher Major ausgegeben und abfällige Bemerkungen über die Wehrmacht gemacht hatte, erhielt 10 Monate Gefängnis. <ref>Bodensee-Rundschau, Mittwoch, 27.12.1939</ref>

Gedenkstein

Unter der Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema Eisenbahnunglück in Kluftern mit vielen weiteren Details auch von Augenzeugen an der Unfallstelle sei auf folgende verwiesen<ref>Südkurier Nr. 132, FN, 13.6.1998, S. 28,26; Südkurier Nr. 297, FN, 23.12.1999 S.18; Südkurier Nr. 294, FN,fckLR21.12.1989; Südkurier Nr.296, 23.12.1989, S. 23; Schwäbische Zeitung Nr. 295 / 2, FN, 22.12.1989;fckLRFriedrichshafen, Heimatbuch, Bd. II, Fritz Maier, Robert Gessler Verlag, S. 311 ff; Sonderdruck: Die GedenkstättenfckLRdes Eisenbahnunglücks bei Markdorf, zum 50. Jahrestag 22.12.1989, Herhausgeber Stadt Weil am Rhein</ref>: In Lipbach im Häldele wurde am 22.12.1989 ein Gedenkstein enthüllt und feierlich durch den katholischen Pfarrer Dieter Holderried und den evangelischen Pfarrer Albrecht Herrmann geweiht, die Musikkapelle Kluftern spielte, es sprachen die Oberbürgermeister Dr. Peter Willmann von Weil am Rhein und Dr. Bernd Wiedmann von Friedrichshafen, der Bürgermeister der französischen Partnerstadt Hüningen zum Zeichen der Deutsch-Französischen Verständigung war ebenfalls anwesend.

Klufterner Zeitzeugen

Anlässlich des 50. Gedenktages am 22.12.1989 erinnerten sich viele Klufterner an das Geschehen von 1939:

Luise Schmidt aus Kluftern, damals 19 Jahre alt, glaubte, die erste Bombe des seit September 1939 laufenden Krieges sei auf Kluftern gefallen.

 Es war nach der Chorprobe im Rathausgebäude: „Ich stand gerade vor dem Rathaus, als ein explosionsartiger Knall den Ort erschütterte, dem ein langanhaltendes Pfeifen der Dampflokomotive folgte. Da ich noch das Geräusch des soeben vorbeigefahrenen Zuges in den Ohren hatte, war mir klar, dass das ein Zugzusammenstoß war. Nach kurzer Mitteilung bei den Eltern rannte ich los, Richtung Bahndamm“, berichtete Rudolf Thoma, damals 13 Jahre alt.

Hilde Schmidt als Lipbach schilderte: „Wir standen am Bahndamm inmitten von Trümmern und Toten, hörten die Schreie der Verletzten und sahen auf den Gleisen Ungetüme in den Himmel ragen und wussten nicht, was denn das alles war“.

Adolf Landolt, damals 30 Jahre alt: „Wo man die Werkzeuge ansetzte und helfen wollte, schrieen Verletzte. Viele unter und zwischen den Trümmern erreichte man nicht, weil es an Beleuchtung und geeignetem Werkzeug fehlte. Etwas besser wurde es, als man die verfügbaren Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern im Halbkreis aufstellte. Als dann die Luftabwehreinheiten mit Scheinwerfern kamen und Schneidbrenner zur Verfügung standen, kam man schneller voran“. Aus Lipbacher Bauernhäusern wurden Decken, Leintücher, Stroh, und heiße Getränke gebracht. Von den 4 Männer Lokpersonal überlebte nur ein Heizer.

Berta Maier, damals Schwesternhelferin im Markdorfer Krankenhaus, beschreibt nach 50 Jahren noch immer nicht ohne innere Bewegung diesen Verletzten Heizer des Güterzugs: „Pechschwarz, ein großer Teil der Haut verbrüht und zerschnitten, lag er monatelang mit großen Schmerzen im Krankenhaus, oftmals hatten wir schon die Hoffnung auf Genesung aufgegeben“.<ref>Mitteilungsblatt Kluftern, Nr. 50, 14.12.1989, Bericht von Franz Ruf</ref>, <ref>Schulchronik, Eintrag von Schulleiter Rudolf Thoma 1939</ref>



Quellen und Links

<references />